Eine entwicklungspsychologische Perspektive
Geschrieben von Geraldine Klewes, Oktober 2024
Eltern, die selber Cannabis nutzen, haben sich sicherlich schon einmal gefragt, wie sie zu Hause verantwortungsvoll damit umgehen können. Aber auch Eltern, die selbst kein Cannabis konsumieren, stehen oft früher oder später vor dieser Aufgabe. Besonders seit die Entkriminalisierung von Cannabis ein hochaktuelles Thema ist, denn Kinder sind neugierig und wollen verstehen, worum es geht. Unabhängig davon sind ältere Kinder – also Jugendliche – experimentierfreudig und erfahren früher oder später von Cannabis; nicht nur durch Musik, Filme, Fernsehen und Social Media – sondern gegeben falls auch durch die unmittelbare Umgebung und den eigenen Freundeskreis.
Allerdings sind viele Eltern bislang nicht ausreichend oder nicht korrekt über juristische und gesundheitliche Aspekte von Cannabis informiert; das zeigt eine aktuelle Studie (Adewale et al., 2024). Gleichzeitig zeigt sich eine gewisse Voreingenommenheit von Eltern, die selber Cannabis konsumieren: Sie stehen der Nutzung von Cannabis bei ihren Kindern viel offener gegenüber, und kommunizieren positiver darüber. Das gleiche Muster spiegelt sich auch bei Alkohol: Eltern, die selbst primär Alkohol konsumieren, zeigen sich dagegen deutlich offener gegenüber der Nutzung von Alkohol (Dopke et al., 2024; Satchell et al., 2023). Es zeigt sich: Die eigene Einstellung zu einer Substanz beeinflusst stark, wie Eltern über die Substanz in der Familie sprechen. Je nach eigener Einstellung kann es von daher herausfordernd sein, einen ausgewogenen Umgang mit dem Thema Cannabis zu Hause zu finden, was wiederum auf einen großen Bedarf an ausreichender und vielseitiger Information hindeutet.
Historische Aufzeichnungen deuten darauf hin, dass Menschen bereits seit der Antike die Erfahrung des Rausches über Substanzkonsum gesucht haben (vgl. Saah, 2005), und diese Rausch-Bereitschaft wird voraussichtlich auch immer ein natürlicher Teil der Menschheit sein. Aus einer entwicklungspsychologischer Perspektive heraus ist es daher wichtig, unabhängig von der eigenen Einstellung gegenüber Cannabis, bewusst zu planen, wie man zu Hause mit Cannabis umgeht, um…
- … einen offenen Dialog mit den Kindern zu fördern,
- … die Bedeutung einer verantwortungsvollen Nutzung und die möglichen Folgen von problematischen Konsummustern hervorzuheben,
- … ein informiertes Verständnis für Cannabis und dessen Gebrauch zu entwickeln.
Die Rolle der Familie für die Entwicklung von Kindern
Die Familie spielt eine überaus wichtige Rolle bei der Entwicklung von Kindern (Sabas, 2021). Durch sie lernen Kinder grundlegende Lebensfähigkeiten, Werte und Verhaltensweisen. Die unmittelbaren Bezugspersonen, in den meisten Fällen ein oder zwei Elternteil(e), beeinflussen die Entwicklung und das Verhalten ihrer Kinder; sie können ihren Lebensweg sowohl positiv, wie auch negativ lenken. Deshalb ist es wichtig, dass sich Eltern bewusst darüber Gedanken machen, wie sie den Umgang mit dem Thema Cannabis zu Hause gestalten wollen.
Der Einfluss von Medien
96 % der deutschen Jugendlichen besitzen ein Smartphone (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, 2022). 81 % sehen sich regelmäßig Serien und Filme an. Die Internet- und Mediennutzung ist für die aktuell jüngeren Generationen um einiges präsenter, als noch bei ihren Eltern oder Großeltern in ihrer Kindheit und Jugend.
Es darf bei der Diskussion zum Umgang mit Cannabis nicht unterschätzt werden, was für einen großen Einfluss Medieninhalte auf die Entwicklung von Identität, Einstellungen und Annahmen bei Kindern und Jugendlichen hat. Sowohl eine glamouröse Darstellung von Freizeitkonsum und damit einhergehende Verharmlosung von möglichen Risiken, als auch eine stigmatisierende Darstellung von Cannabis im Zusammenhang Kriminalität und sozialen Problemen, sind beides problematische mediale Darstellungen, die bei jungen Menschen ironischerweise beide den Anreiz zum Konsum erhöhen könnten (siehe Abschnitt zum „verbotenen Frucht“-Effekt).
Eine Frage der Aufklärung
Studien deuten darauf hin, dass Kinder von Cannabis konsumierenden Eltern eher dazu neigen, später selbst Cannabis zu nutzen, im Vergleich zu Kindern von Eltern, die keinen Cannabis konsumieren (vgl. O’Loughlin et al., 2019). Aber: Jeder Mensch ist individuell. Nicht alle Kinder, deren Eltern Cannabis konsumieren, werden zwangsläufig negative Auswirkungen erfahren oder negative Entwicklungsverläufe haben. Genauso wenig ist aber gesichert, dass sie später eigene positive Erfahrungen mit Cannabis machen werden. Was sich jedoch beeinflussen lässt, ist der Grad der Aufklärung, und damit die Möglichkeit, faktenbasierte Entscheidungen zu treffen.
Uns liegt am Herzen, dass sowohl Eltern als auch Kinder und Jugendliche ausreichend Aufklärung und damit die Basis für eine informierte Auseinandersetzung mit dem Thema Cannabis erhalten. Eltern sollten zum Beispiel mit ihren Kindern offen und differenziert darüber sprechen können, wofür manche Menschen Cannabis nutzen. Unabhängig von den eigenen Cannabis-Präferenzen, sollten sie aber auch frühzeitig intervenieren können, falls sich Anzeichen eines problematischen Konsums (siehe weiter unten) beim eigenen Kind zeigen sollten.
Der „Verbotene-Frucht“-Effekt:Offenheit und ehrliche Kommunikation
Eine Tabuisierung von Cannabis ist, ebenso wie eine Idealisierung, kein guter Ansatz im Umgang mit Kindern und Jugendlichen. Eine der wichtigsten Strategien für den Umgang mit Cannabis zu Hause ist deshalb Offenheit und ehrliche Kommunikation. Gerade für Jugendliche hat etwas, das die Eltern verbieten, einen besonderen Reiz (der sogenannte „Verbotene-Frucht“-Effekt, vgl. Filley, 1999; Keijsers et al., 2011).
Eltern könnten ihren Kindern anbieten, mit ihnen ehrlich über eigene Einstellungen, Werte und Entscheidungen im Hinblick auf Cannabis zu sprechen. So kann eine Atmosphäre des Vertrauens entstehen und die Kinder werden ermutigt, eigene Fragen zu stellen. Auch für Eltern, die selbst kein Cannabis konsumieren, ist es sinnvoll, ihren Kindern erklären zu können, warum manche Menschen Cannabis konsumieren und zu welchen verschiedenen Zwecken es eingesetzt werden kann. Das fördert nicht nur Verständnis, sondern hilft auch, gemeinsam ein ausgewogenes Wissen über Cannabis zu entwickeln und Vorurteile abzubauen.
Betonung von Verantwortung und Maßhaltung
Es ist entscheidend, dass Eltern die Bedeutung von Verantwortung und Maßhaltung im Umgang mit Cannabis vermitteln. Jedoch wird die Neugier auf Cannabis und die Lust auf Selbstexperimente, insbesondere bei Jugendlichen, nicht durch Verbote verhindert – dies ist gut belegt (vgl. Zullino & Cattacin, 2021).
Stattdessen sollten Eltern vermitteln, dass Cannabis – wie jede andere Substanz auch! –mit Respekt und Bedacht genossen werden sollte, wenn es überhaupt mal zu einem Konsum kommt. So können Eltern zum Beispiel durch oft wiederholte Redewendungen (zum Beispiel „in Maßen, nicht in Massen!“, „kein Extrem tut gut!“, oder abgewandelte Variationen davon) einen nachhaltigen Einfluss auf die Entwicklung ihrer Kinder nehmen, und zwar übrigens nicht nur in Bezug auf Cannabis, sondern auch in anderen Lebensbereichen. Gleichzeitig ist niemand perfekt. Es ist daher hilfreich, den eigenen Kindern ein gewisses Vertrauen und bedingungslose Akzeptanz zu vermitteln, sodass sie keine Angst oder Scheu haben, z.B. im Jugendalter im Falle einer ausgearteten Party, die Eltern ins Vertrauen zu ziehen und bei Bedarf nach Hilfe zu fragen, anstatt sich zu schämen.
Unterstützung gegen den Druck von Gleichaltrigen
Kinder und Jugendliche werden, neben der eigenen Familie, auch stark vom Freundeskreis beeinflusst. Um Ablehnung zu vermeiden, stimmen sie – vor allem im jungen Alter – manchmal Dingen zu, die sie selbst eigentlich gar nicht wollen. Eltern können ihre Kinder mit offener und ehrlicher Kommunikation stärken, damit sie sich mit eventuell unangenehmen Situationen im Freundeskreis oder Unsicherheiten an sie wenden können. Außerdem können sie ihre Kinder dabei unterstützen, bestimmte Lebenskompetenzen zu stärken, wie Selbstbewusstsein, Stressbewältigung, Entscheidungsfindung. Auch die Fähigkeit zum Nein-Sagen ist etwas, was Eltern bei ihren Kindern in ganz vielen alltäglichen Situationen fördern können – was im Kontext von Substanzkonsum eine überaus wichtige Fähigkeit ist.
Bildung über gesundheitliche Auswirkungen
Eine große Sorge vieler Menschen, insbesondere wenn es um die Legalisierung von Cannabis geht, ist die schädliche Wirkung von Cannabis auf die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. An dieser Stelle möchten wir zunächst betonen, dass wir Cannabiskonsum bei Kindern und Jugendlichen unsererseits nicht ermutigen oder verharmlosen wollen.
Problematisch ist es jedoch, wenn Risiken von den Medien überbetont werden (vgl. Steiner et al., 2019), oder Aussagen zu stark verallgemeinert werden, ohne sich tatsächlich tiefgehend mit den existierenden Studien und der jeweiligen Stichprobe auseinander zu setzen. Dadurch wird Angst vor Cannabis vor allem bei den Erwachsenen geschürt – und Vorurteile werden aufrecht erhalten. Es sei zum Beispiel darauf hinzuweisen, dass Cannabis in seinem Gefährdungspotential im Vergleich zu anderen Rauschmitteln weit hinter Alkohol (Platz 1) und Tabak (auf Platz 6) liegt (Nutt et al., 2010); die Mehrheit der Konsumierenden nutzen Cannabis einmal im Monat und seltener (Haucap & Knoke, 2021). Eine Betonung von Cannabis-Risiken könnte bei der in diesem Artikel adressierten Altersgruppe, vor allem bei Jugendlichen, wahrscheinlich gerade noch mehr dazu führen, dass diese neugieriger werden, wie bereits oben beschrieben (vgl. Steiner et al., 2019; Zullino & Cattacin, 2021).
Unabhängig davon existieren aktuell weitere Probleme, die allgemeingültige Aussagen und damit eine ausgewogene Darstellung von Kurz- und Langzeitfolgen von Cannabis bei Kindern und Jugendlichen deutlich erschweren:
- Einige Medien und Politiker*innen, formulieren Erkenntnisse aus Studien so, als seien sie für die Gesamtbevölkerung verallgemeinbar. Dass es sich oftmals nur um richtungsweisende Studien mit jeweiligen Limitationen handelt (und eher selten Längsschnittstudien mit hoher Aussagekraft), wird hierbei ignoriert. Oft werden wichtige Informationen nicht mit kommuniziert, welche die jeweiligen Ergebnisse in ihren Untersuchungskontext einbetten würden.
- Die tatsächliche Verabreichung von Cannabis an Kinder und Jugendliche in einer Studie wäre ethisch hoch verwerflich, sodass bisherige Forschung zu Kinder und Jugendlichen lediglich auf Studien mit Tieren (vgl. De Gregorio et al., 2020), auf probabilistischen Vorhersagen (vgl. Owens et al., 2022), oder auf Selbstberichten in Bezug auf den eigenen Cannabiskonsum beruhen kann (vgl. Skumlien et al., 2021). Das wiederum macht Kausalschlüsse sehr schwierig, da Unterschiede zwischen Gruppen (z.B. häufige Cannabis-User vs. nicht-User) auch auf viele andere Faktoren zurückführbar sind (z.B. sozioökonomischer Status, häufig nicht mit abgefragte / statistisch kontrollierte Vorerkrankungen oder Wohlbefinden).
Inzwischen können Forscher*innen jedoch nicht nur auf einzelne, ganz spezifische Studien mit ihren jeweiligen Limitationen zurückgreifen, sondern auch zusammenfassende Aussagen über die Vielfalt bisheriger Studien treffen. Sogenannte Meta-Analysen fassen die Ergebnisse mehrerer Studien zur selben Fragestellung statistisch zusammen und ermitteln daraus ein deutlich aussagekräftigeres Ergebnis; sie gelten als Goldstandard der Forschung. Eine hervorragende und sehr ausführliche, systematische Übersicht zu bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu sowohl gesundheitlichen als auch psychosozialen Wirkungen von Cannabis aus den letzten 10 Jahren findet sich beispielsweise kostenlos hier: „Cannabis: Potenzial und Risiko. Eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme“ (Hoch et al., 2017).
Unter anderem folgende ausgewählte Erkenntnisse lassen sich aus der bisherigen Forschung ableiten:
Gehirn
- Es gibt schlüssige Hinweise darauf, dass akuter Cannabis-Konsum bei Jugendlichen in der jeweiligen direkten Situation zu kognitiven Leistungseinbußungen führt. Es handelt sich hierbei um geringe bis mäßige Defizite in verschiedenen Bereichen wie z.B. Verarbeitungsgeschwindigkeit, Entscheidungsfindung, und Gedächtnisleistung (Dellazizzo et al., 2022; Hoch et al., 2017).
- Chronischer Cannabis-Konsum kann bestimmte Gehirnstrukturen bei Jugendlichen verändern, was sich wiederum auf Lernprozesse, Gedächtnis, und andere sogenannte exekutive Funktionen auswirken kann (Batalla et al., 2013). Jedoch ist die Studienlage zu tatsächlichen Defiziten hierzu nicht ganz einheitlich (Hoch et al., 2017)
- Die oben genannten Veränderungen sind für gelegentlich konsumierende Personen nicht dauerhaft, sondern reversibel (d.h., sie können zurückgehen, wenn der Konsum gestoppt wird); jedoch verändert sich das Gehirn dauerhaft, wenn Cannabis seit der Jugend regelmäßig und durchgehend (d.h. mehr als ein bis zwei Jahrzehnte lang) konsumiert wurde (Gonzalez & Swanson, 2012; Meier et al., 2012).
- Entgegen der geläufigen Meinung, scheint es keine schlüssigen Hinweise darauf zu geben, dass die Leistungen bei kognitiven Aufgaben von regelmäßig Cannabis-konsumierenden Jugendlichen schlechter sind als bei Jugendlichen, die kein Cannabis konsumieren (Batalla et al., 2013). Eine geminderte Intelligenz durch regelmäßigen Cannabiskonsum konnte bisher nicht konsistent durch Studien belegt werden (Hoch et al., 2017).
- Frühere Studien über die Wirkungen von Cannabis bei Jugendlichen könnten das Ausmaß der mit dem Konsum verbundenen kognitiven Defizite möglicherweise überbewertet haben (Scott et al., 2018).
- Es gibt jedoch insgesamt noch zu wenige Studien zu Langzeitwirkungen von jugendlichen Cannabis-Konsumentinnen, dies sollte in Zukunft priorisiert werden (vgl. Hoch et al., 2017). Forscherinnen nutzten bisher vorwiegend kleine Stichproben und viele verschiedene Methoden, was einen Vergleich der Studien und verallgemeinbare Aussagen sehr erschwert (Batalla et al., 2013).
Psychologische und psychosoziale Wirkungen
- Es gibt recht konsistente Hinweise darauf, dass Cannabiskonsum in der Jugend mit einem erhöhten Risiko verbunden ist, im jungen Erwachsenenalter eine schwere Depression und Suizidalität, insbesondere Suizidgedanken, zu entwickeln (Gobbi et al., 2019).
- Cannabiskonsum bei Jugendlichen (wenn das Einstiegsalter vom Cannabiskonsum bereits früh war, sprich, seit dem 15. Lebensjahr oder länger konsumiert wurde) hängt mit einem später insgesamt geringerem Bildungserfolg zusammenhängt (Macleod et al., 2004; Hoch et al., 2017).
Sucht / Abhängigkeit
- Eine Cannabis-Abhängigkeit kann unabhängig vom Alter entstehen. 9 % (= fast jede:r Zehnte) aller Konsumenten machen jemals im Leben eine Erfahrung mit einer Cannabisabhängigkeit (Hoch et al., 2015). Höher ist der Anteil mit 17 % (= fast jede:r Fünfte) bei Personen mit einem Konsumbeginn in der Adoleszenz, und mit 25–50 % (= fast jede:r Vierte bis jede:r Zweite) bei Menschen, die Cannabis täglich konsumieren. Das Risiko wird durch häufigeren Konsum, vor allem bei Jugendlichen, deutlich höher (Leung et al., 2020).
- Eine Nutzung von Cannabis vor dem 16. Lebensjahr sollte vermieden werden, um das Risiko einer Abhängigkeit zu verringern (Fischer et al., 2017; Hoch et al., 2017)
- Anzeichen eines problematischen Cannabiskonsums bei Kindern / Jugendlichen können z.B. sein (vgl. Hoch & Preuss, 2019):
- … Schwierigkeiten, Zeitpunkt und Menge des Konsums eigenwillig zu kontrollieren
- … Vernachlässigung von Hobbies, die vorher Spaß gemacht haben oder Verpflichtungen (wie Hausaufgaben), um ausreichend Cannabis anzuschaffen oder zu konsumieren
- … Toleranzentwicklung: Immer mehr wird benötigt, um die gewünschte Wirkung zu erreichen
Jedoch sind die Kriterien für eine Abhängigkeit für Außenstehende, selbst für die eigenen Eltern, manchmal nicht gut sichtbar. Jedoch könnten Eltern auf folgende „Warnsignale“ achten: Gerötete Augen, Abbruch von bisher geliebten Aktivitäten und Rückzug, Zittern, Persönlichkeitsveränderungen. Ein Selbsttest zum Thema Sucht und Abhängigkeit findet sich unter drugcom.de.
Es wäre wünschenswert, dass das öffentliche Gesundheitswesen gesundheitsrelevante Informationen sowohl für Eltern als auch für Jugendliche einfach und altersgerecht zugänglicher macht. In öffentlichen Präventionsbotschaften sollte betont werden, dass das Risiko negativer Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlergehen im späteren Leben umso geringer ist, je später mit dem Cannabiskonsum begonnen wird. Neben den existierenden Webseiten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (siehe zum Beispiel hier unter „cannabispraevention.de“ oder hier unter „infos-cannabis.de“) könnte eine zielgruppennahe Maßnahme sein, ehemals Betroffene mit Erfahrungen einer Cannabis-Abhängigkeit in Schulen einzuladen, sodass Jugendliche ihnen Fragen stellen können; denn oft sind Jugendliche offener dafür, von zugänglichen Personen zu lernen, als von den eigenen Eltern oder von Lehrer*innen aufgeklärt zu werden. Eine andere Möglichkeit wäre die stärkere Nutzung von Social Media (Instagram, TikTok etc.), im Sinne einer ausgewogenen Aufklärung, um suchtpräventive Informationen für Jugendliche leichter zugänglich zu machen.
Zusätzlich können Eltern sich selbstständig über das in diesem Artikel genannte, bereits vorhandene Material informieren. Dabei sollte im Hinterkopf behalten werden, dass unser Wissen über die Cannabiswirkungen auf die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen (sowie generell) immer noch unvollständig ist, es jedoch konsistente Hinweise darauf gibt, dass Abhängigkeit und chronische Nutzung mit Beginn in der Jugend sich langfristig negativ auswirken können.
Im Sinne ihrer erzieherischen Verantwortung können Eltern ihre Kinder natürlich auch generell über gut belegte wissenschaftliche Erkenntnisse aufklären, z.B. Rauchen wirkt negativ auf die Gesundheit – egal, was geraucht wird (vgl. Steiner et al., 2019). Diese Aufklärung dürfte nachhaltiger wirken, wenn die vermittelten Erkenntnisse auch tatsächlich vorgelebt werden (siehe nächster Abschnitt).
Vorbildfunktion der Eltern
Auch das eigene Verhalten als Elternteil und dessen wegweisende Bedeutung für Kinder und Jugendliche ist zu beachten. Kinder lernen durch Beobachtung und Nachahmung. Daher sollten Eltern konsistente und positive Verhaltensweisen in Bezug auf den Umgang mit Cannabis demonstrieren. Das kann zum Beispiel bedeuten, nur zu bestimmten Zeiten oder nur in Abwesenheit der Kinder zu konsumieren, falls überhaupt – dies ist übrigens auch in der neuen Gesetzgebung (CanG) verankert. Wenn Eltern Cannabis konsumieren, sollten sie überlegen, was sie mit dem eigenen Verhalten gegenüber ihren Kindern vermitteln; und wie sie darüber kommunizieren können (z.B. als Cannabispatient*in). Gut überlegt sein sollten z.B. folgende Fragen und Themen, die zum Teil für Eltern auch rechtlich verpflichtend sind:
- Umgang mit Cannabis Zuhause; eine Weitergabe an die eigenen Kinder und Konsum vor den Kindern (bei Kindern unter 18 Jahren) ist laut KCanG verboten
- Vermeiden von Rauchen in denselben Innenräumen, die zu anderen Zeiten auch von den Kindern genutzt werden (Stichwort Passivrauchen)
- Sichtbarkeit und Zugänglichkeit von Zubehör wie Bongs, Vaporizer, etc.
- Sicherstellung eines Aufbewahrungsortes für das eigene Cannabis außerhalb der Reichweite von Kindern
- Bei Eigenanbau: Schutzmaßnahmen, um einen Zugriff durch Kinder und Jugendliche zu verhindern, sind gesetzlich verpflichtend (z.B. separater, abschließbarer Raum)
- Vermeidung von Edibles aufgrund der Gefahr, dass Kinder diese konsumieren (siehe Assanangkornchai et al., 2023, zum Anstieg der kinderärztlichen Behandlungen nach unabsichtlichem Konsum von Edibles in Ländern nach einer Cannabis-Legalisierung)
Fazit
Der Umgang mit Cannabis zu Hause erfordert ein gutes Mittelmaß zwischen Offenheit und Verantwortungsbewusstsein seitens der Eltern. Ziel sollte sein, dass Kinder und Jugendliche ein Verhältnis zu Cannabis entwickeln können, welches ihnen später einen ausgewogenen, bewussten und selbstbestimmten Umgang damit erlaubt. Eltern können dies durch die Förderung eines ehrlichen Dialogs, die Betonung einer verantwortungsvollen Nutzung, die Darstellung möglicher problematischer Langzeitfolgen und mit der eigenen Vorbildfunktion unterstützen. Zudem sind die jeweils geltenden rechtlichen Aspekt zu beachten.
Quellenangaben
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